Saturday, June 06, 2009

FOTO-ESSAY: Verkauf von Mobilfunk-Nummern. Von Ralph Hälbig

Im Mai diesen Jahres wartete ich an der U-Bahn-Station in der Nähe des Hauptbahnhofes auf eine Freundin. Lange war ich nicht mehr in dieser Gegend gewesen. Ich hörte mal, dass Saakashvili, die Straßenhändler, unter denen natürlich auch die Flüchtlinge aus Südossetien und Abchasien zu finden sind, von den Straßen vertreiben wollte. Immer wieder ist es der Misha, der sich für alles verantwortlich machen lässt.

Tbilisi sollte sich weltoffen geben, zeigen, dass das Land sich reformieren lässt, dass eine städtische Ordnung möglich sei. Die Leute sollten die Geschäfte mieten, die natürlich für die meisten zu teuer waren. Tbilisi sollte attraktiv daherkommen, wie eine kaukasiche Diva: gepflegt, stolz, rausgeputzt, mit gehobenem Kinn, den Männern kaum eines Blickes würdig. Tbilisi sollte sich wandeln; es sollte nicht mehr so chaotisch, durcheinander, unübersichtlich und aggressiv wirken, wie es zuweilen im Sraßenverkehr vorkommt.

Als erstes sollte das Fleisch und der Fisch von der Straße verschwinden. Die Folge war, dass der Markt in der Bahnhofsgegend, sich nach der Rosenrevolution in Georgien dann allmählich verkleinerte. Gewiss gab es auch Widerstände dagegen. Und ich dachte etwas wehmütig immer wieder daran zurück, dass mit dem Regulierung des Marktes auch all die lebendigen Bilder und Menschen von den Gassen verschwinden würden. Wie zum Beispiel diese kaukasische Schönheit, die ich vor Jahren dort sah, die Fische entschuppte, die Innereien geschickt herausnahm mit ihren grazilen, kräftigen Händen und, die mir dabei aber einen so wütenden und feurigen Blick zuwarf, als ich sie beobachtete. Sie war in diesem Moment die schönste Fischverkäuferin der Welt.

Jetzt aber, nach dem Krieg im Sommer und auch in Zeiten der Wirtschaftskrise, die sich gerade in Georgien und in der Kaukasusregion deutlich bemerkbar macht, ziehen die alten, bewährten Handelsstrukturen wieder ein, die sich im wesentlichen auch auf die Selbstversorgung und die Subsistenzwirtschaft berufen.

Neben den Fisch- und Fleischhändlern habe ich ein kurioses Geschäft ausgemacht. Hier (wie auf den Fotos zu sehen) werden sozusagen auf einer modernen Händlerbrücke über den Gleisen der Eisenbahn Telefonnummern für die Handys verkauft, die natürlich trotz Wirtschaftsabschwung weiterhin äußerst beliebt sind, und rege gekauft werden.


Früher war Tbilisi legendär für seine sogenannte Balkon-Telegraphie, d.h. das Gerüchte und Neuigkeiten von Balkon zu Balkon weitergegeben wurden. Jetzt mobilisiert das Handy das Leben von Tbilisi: Verabredungen, Heimlichkeiten, Tuscheleien, politische Diskussionen, Flirtereien, Verleumdungen, Geschäftsverabredungen, Tipps, Familienzusammenführungen, Heiratsversprechungen, Streitereien, Seuseleien und, und, und ... Das Gerät wird häufig für eine hysterischen Depesche gebraucht. Möglicherweise könnte in Georgien eine Schlägerei zwischen Oppositionellen und dem Regierungslager, entbrannt nach einer Supra am Rande der Stadt, sehr schnell eine Mobilisierung in der ganzen Innenstadt hervorbringen. Ehefrauen, Verwandte, Geliebte trommeln regelrecht ihre Beziehungen zusammen. Man glaubt, das immer etwas dran ist, wenn einem Nachrichten erreichen. Nichts ist unsinnig, irgendjemand erzählt immer dann die ganze Wahrheit oder lügt vollständig.

Was zum Beispiel bei dem Spiel "Stille Post" verdeutlicht wird, wie die Nachrichtenübertragung funktioniert, wird kaum reflektiert. Sender und Empfänger verschmelzen hier zu einer Einheit. Dabei sind die Handys sozusagen die Hauptakteure. Wohl deswegen kann man dort so viele unsinnige Nummern regelrecht feilbieten.

Wobei die Auswahl solcher Nummern, die ja wahllos daherkommen, kaum Schnapszahlen oder Geburtstage generieren, etwas Okkultes anhaftet, wenn man beobachten kann, wie bedächtig die Auswahl erfolgen kann, um die richtige Nummer zu finden. Oder sind die Georgier etwa Synergetiker, die bei den langweiligen Zahlenreihen, Düfte riechen, Stoffe schmecken, Kompositionen hören, Farben sehen, und andere Sinnlichkeiten erleben ?


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